Unnötiges Risiko eingehen - erledigt!

 

In Luang Namtha angekommen war der Plan, eine 2-3 tägige Dirtbiketour zu weiteren Minderheiten zu drehen. Das ist hier nicht schwer, da die ethnischen Gruppen in ihrer Gesamtheit etwa 70% ausmachen. Wir mieteten also eine Crossmaschine und wollten eine Schleife ausgehend von Luang Namtha über Muang Sing und Muang Long bis nach Vieng Phouka fahren. Laut Reiseführer und Karten war diese voll mit Reisfeldern, Minderheiten und Nationalparkdschungel. Die Strecke nach Muang Sing war asphaltiert und wir haben schon daran gezweifelt, ob es überhaupt notwendig war ein Dirtbike zu mieten. In Muang Sing haben wir übernachtet und sind 6 Uhr morgens zum Morning Market aufgebrochen, genau wie der Rest der Stadt. Als einzige Weiße (wieder einmal) wurden wir von einer Tai Dam-Frau zu den Textilständen gezerrt, um ja etwas zu kaufen. Nur leider gab es 4 Frauen, die alle verkaufen wollten und es endete damit, dass Steffi von allen etwas nahm, um fair zu bleiben. Danach fuhren wir etwas nördlich der Stadt in Yao-Dörfer, wo uns schon auf den ersten paar Metern eine alte Yao-Frau herangewunken hat. Sie saß gerade stickend vor ihrer Haustür und hatte innerhalb von Sekunden sämtliche traditionellen Kleider herbeigetragen. Die alte Frau in ihrer traditionellen Kopfbekleidung sticken zu sehen war schon toll, aber viel besser war der kurze Anblick einer jungen Mutter mit ihrem Baby im Tragetuch, den wir erhaschen durften. Beide waren voll eingekleidet in royalblaue Kleider und Kopfbedeckungen mit roten Bommeln und Nieten.

Die Strecke zu weiteren Yao- und Akhadörfern waren zwar Dirtroads (nicht asphaltiert) aber gut befahrbar. Lediglich die Orientierung war teils schwierig, weil natürlich keine Wegweiser existierten. Der Weg nach Muang Long ging von einer asphaltierten und mit Schlaglöchern gesäumten Straße in eine Dirtroad über, die einem sehr breiten und gut festgefahrenem deutschen Feldweg gleichkam. Frühstück gab es bei den Tai Lü: Nudelsuppe mit gekochten Blutsbrocken. Gestärkt fuhren wir etwas abseits der Haupstrecke in ein Akhadorf, in dem man laut Reiseführer eine traditionelle Swing (Schaukel) sehen kann. Diese Schaukel ist für die Akha heilig und wird nur ein Mal im Jahr zum Schaukelfest genutzt. Doof war nur, dass wir zwar im Dorf ankamen, aber die Schaukel nicht sahen, weil wir zu beschäftigt waren mit unserem platten Reifen. Im Dorf hatten sie leider kein passendes Werkzeug, also mussten wir 10 km zurück nach Muang Long fahren und zwar platt. Der Anblick von 2 Falang, die auf einem großen Dirtbike in Schrittgeschwindigkeit an ihnen vorbeituckerten, sorgte bei den sonst so grimmigen Einheimischen für heiteres Gelächter. In der Stadt bekamen wir innerhalb von 15min für ganze $10 einen neuen Schlauch und die Kette frisch geölt. Am frühen Nachmittag sind wir nach Vieng Phouka aufgebrachen, was laut Karte ca. 60km entfernt sein musste und wo wir die nächste Nacht verbringen wollten, bevor es zurück nach Luang Namtha geht. Unser Anhaltspunkt war das erste Dorf, was laut Karte ein Drittel der Strecke ausmachen sollte. Die Fahrt hat sich aber ewig gezogen und der Weg war jetzt schon nicht mehr wirklich deutscher Feldweg, sondern ziemlich anspruchsvoll, teilweise sehr steil aber mit Crossmaschine noch befahrbar. Rückblickend wäre genau hier wirklich der Punkt gewesen, wo wir hätten umdrehen sollen. Nachdem wir falsch abgebogen und 8 km zu einem Wasserkraftwerk und zurückgefahren waren, standen wir vor einer Gabelung. Der "richtige" Weg war roter Matsch (schlimmster weil am glitschigsten), es ging einen sehr steilen Hang hinunter und wir mussten uns entscheiden, ob wir weiter (schlimmer kann es ja nicht werden) oder zurückfahren wollten. Da es schon später Nachmittag war und wir wirklich keine Lust hatten, 3h üble Buckelpiste und nochmal 120km dieselbe Strecke noch vor Sonnenuntergang zurückzufahren, entschieden wir uns für den Weiterweg. Im Nachhinein absolute Fehlentscheidung. Die Lektion daraus ist: ES GEHT IMMER SCHLIMMER! VIEL SCHLIMMER!!!

Wir kämpften uns weitere 5 km Rutschpiste nach Nam Boo vor und waren, dort angekommen, total im Arsch. Wir waren schließlich seit halb 6 wach, auf dem Morgenmarkt, sind den ganzen Weg nach Muang Long gefahren, hatten einen Platten und die ersten paar Kilometer der Strecke nach Phouka waren unerwartet hart und erforderten sehr viel Konzentration. In Nam Boo angekommen, haben wir mit Händen und Füßen verständlich gemacht, dass wir einen Schlafplatz brauchten. Die Dorfbewohner waren sehr skeptisch und teils überfordert und versuchten uns zur Weiterfahrt zu bewegen. Wir haben es zum Glück geschafft, sie zu überzeugen, dass sie uns bei sich aufnehmen. Schlafen hieß dann Holzboden, Decke, Kissen und zu Essen gab es Reis mit labberigem Gemüse, aber wenigstens gab es etwas zu Essen und Wasser und ein Mosquitonetz. Wir haben noch herausgefunden, dass wir uns bei einer Lahufamilie (bzw. nennen sie sich selbst Khoui) befanden, bestehend aus 2 Ehemännern, einer Frau und 4 Kindern, die alle weiße Halsketten (Frauen) und Armbänder (Männer) hatten und permanent Opium rauchten. Wir waren dann so fertig, dass wir zum Sonnenuntergang um 19 Uhr einfach einschliefen. Die ganze Nacht hat es geschüttet wie aus Eimern und wir haben sehr schlecht geschlafen, da wir weder vor noch zurück konnten. Der Abhang, den wir uns entschieden hatten herunterzufahren, um hier her zu kommen, war mit Sicherheit unbefahrbar und vor uns lag wer weiß was. Toni lag seit 4 Uhr wach und überlegte, wie lange alles dauern würde, wie der Weg wohl beschaffen ist, was wäre, wenn wir eine Panne hätten oder irgendwie nicht weiterkämen. Die Lösung war dann, im Norfall einfach Schrittgeschwindigkeit zu fahren. Wir hatten ja 12h Zeit. Daran haben wir uns dann festgeklammert, da kann ja nicht viel passieren, das geht schon. Nachdem wir dann aufgebrochen waren und gerade einmal 2 Dörfer weit gekommen sind (3h, 20km) blinkte plötzlich die Benzinanzeige und die Strecke wurde immer schlimmer - teilweise 20% Steigung, Schlamm, vom Regen ausgewaschene diagonale Rillen und teils blanker Fels. Selbst das große Motorrad hatte da keine Chance und wir musste es einige Hänge hochschieben. Das jetzige Dorf war völligst abgelegen und von Akha bewohnt. Schon einmal versucht, Benzin zu bekommen, wenn die Leute vor dir weglaufen? Glücklicherweise bekamen wir dann doch irgendwie 2 Liter und bei dem Anblick eines Traktors, boten wir ihnen viel Geld, damit sie uns damit in die Zivilisation zurückfahren sollten. Da haben sie aber nur gelacht und uns verständlich gemacht, dass die Strecke selbst für den Traktor unbefahrbar ist. Wir hatten also keine Wahl mehr. Wir mussten einfach weiter, ob wir wollten oder nicht und konnten nur hoffen, dass nichts passiert. Das nächste Dorf war dann ca. 30km entfernt und um dort hinzugelangen, mussten wir durch den Nationalpark über einen Berg fahren. Doch die Strecke war tot, denn die Dörfer auf der Seite, auf der wir waren gehörten zum Long- und das nächste zum Phouka-Distrkt. Ein Weg dazwischen war theoretisch vorhanden, doch praktisch nicht. Dass selbst Einheimische eine Strecke nicht benutzen, soll schon etwas heißen. Das größte Problem daran ist aber, dass, wenn niemand ihn benutzt, der Weg innerhalb von Wochen unbrauchbar wird. Er wächst einfach zu, bricht weg, überschwemmt oder es fallen Bäume darauf und niemand repariert ihn oder räumt ihn frei. Wir fuhren teilweise auf 30cm zugewachsenem Matschweg, wobei unsere Arme und Beine permanent vom Unterholz und Gebüsch zerkratzt wurden. Wir mussten Flüsse durchfahren, wo Steffi jedes Mal erst die Tiefe testete und die zum Glück nie zu tief waren. Als dann der Regen wieder einsetzte, wir steil bergab fuhren und sich in diesem sch*** roten Matsch tiefe Rillen gebildet hatten, fielen wir auch noch mit dem Motorrad hin. Zum Glück waren wir nicht schnell gewesen und Toni hatte sich nur durch den heißen Motor eine Brandwunde am Bein zugezogen. Nach einigen nervenzerreißenden, gefühlt ewig dauernden Fehlversuchen sprang dann das Bike wieder an, aber innerlich waren wir an diesem Punkt beide komplett panisch. Unsere Vorteil bestand nur darin, dass dies keiner von uns beiden dem anderen zeigte. Wir beruhigten uns immer wieder gegenseitig und haben auch erst hinterher vollkommen realisiert, WIE ausgeliefert wir da oben waren. Eine Kleinigkeit hätte genügt, um uns ohne Essen und Trinkwasser, Tagesmärsche entfernt von jeglicher Zivilisation wahrlich hilflos zurückzulassen. Die einzigen Menschen, die es gab, konnten nicht mit uns kommunizieren, weil sie nicht einmal Laotisch sprechen und so schüchtern sind, dass sie immer erstmal weglaufen oder mit dem Kopf schütteln, wenn man sie anspricht. Selbst nur ein halber Meter unpassierbare Straße, wegen was auch immer, Baum, Erdrutsch etc. oder noch schlimmer, ein platter Reifen, Motorschaden oder Unfall, ein Spinnenbiss oder Fieberanfall hätte gereicht und was wäre dann gewesen? Unvorstellbar hier draußen!!

8 Stunden später (!!!) hatten wir es geschafft. Wir haben die letztlich 80 km lange Strecke in 11 geschlagenen Stunden bezwungen. Körperlich und geistig völlig am Ende sind wir im Guesthouse in Vieng Phouka (für uns in dem Moment das Paradies auf Erden) ins Bett gefallen. Die Nacht war dann noch nicht ganz entspannt, denn Toni ist immer wieder panisch aufgewacht, weil er im Schlaf noch weitergefahren ist. Am nächsten Morgen sind wir dann von Vieng Phouka die letzten 60 km auf perfekten, asphaltierten Straßen mit Straßenmarkierungen und all so was innerhalb von nicht ganz einer Stunde zurück nach Luang Namtha gefahren. Erst hier realisierten wir wirklich, dass und WAS wir da überstanden hatten. Bezeichnend dabei ist, dass wir ab Muang Long kein einziges Foto gemacht haben, weil wir so angespannt waren. Und das Fazit ist, wären wir mit Guide und ohne Risiko dort gewesen, wäre es richtig toll gewesen, die Dörfer, die Landschaft, alles. Aber gemessen an dem unnötig hohen, teilweise unberechenbaren Risiko, war es die Sache nicht wert. 

 

Der schlimmste Moment?

Für Toni auf halber Strecke zwischen nichts und gar nichts, kurz nach einem dieser krank steilen Anstiege, wo wir das Motorrad schieben mussten und unsere Karte verloren hatte, stellten wir den Motor ab und Steffi ging zurück. Ich blieb allein zurück, blickte einen Hang seitlich der Straße hinab, der sich komplett in einen Fluss ergossen hatte und schaute mich zum ersten Mal um. Ich sah nichts als Berge voller Wald und hörte nur ein paar Vögel zwitschern. Eigentlich schön, aber in dem Moment realisierte ich, wo und wie einsam wir waren! 

Für Steffi: Angekommen im ersten richtigen Dorf machten wir Pause, um etwas zu essen und zu trinken und Toni nutzte die Gelegenheit, um seine Beine vom Schlamm zu befreien. Unter dem fliesenden Wasser zeichnete sich auf Tonis linker Wade immer eindeutiger eine Brandwunde in Form des Motors ab. Was hätte ich gemacht, wenn es nicht nur eine Brandwunde gewesen wäre?

 

 

Hier noch ein paar Zusatzinformationen und Bilder...