Jäger und Sammler oder Dort, wo sie Steine essen

 

Wir haben uns nach Luang Prabang dazu entschieden, den wilden Norden Laos' zu erkunden, da es hier viele Bergvölker, tolle Landschaften und wenige Touristen gibt. Allein in der Provinz Phongsaly gibt es 29 anerkannte ehnische Gruppen mit eigenen Sprachen, Traditionen und teils extravaganter traditioneller Kleidung. Um dort hinzugelangen, mussten wir erst einmal in das 180km entfernte Oudomxay fahren, wofür wir geschlagene 6, 5h brauchten - ein wahrer Höllenritt. Dort angekommen waren wir die einzigen Touris, nahezu niemand sprach auch nur ein Wort Englisch, wir bekamen um 17 Uhr nirgends etwas zu essen, das Touristenoffice hatte zu und insgesamt waren die Leute sehr reserviert. Keiner grüßte uns, wie wir das aus Kambodscha und Südlaos gewohnt waren, wenn wir Sabai-di sagten, drehten sich die Menschen weg oder starrten uns nur verständnislos an. Alles wirkte sehr unfreundlich und überhaupt nicht einladend. Zu allem Überfluss ging unser Plan, uns ein Motorbike auszuleihen und auf eigene Faust gen Norden zu fahren, nicht auf, da es einfach keine Mietstation gab. Wir waren kurz davor, nach Luang Namtha weiter zu fahren, wo es viele Touristen hintreibt. Aber auch dies war nicht möglich, denn es fuhr kein Bus mehr. Also waren wir gezwungen die Nacht völlig überteuert in diesem unfreundlichen Drecksloch zu verbringen. Am nächsten Tag hatte uns die Abenteuerlust aber dann doch wieder gepackt und wir entschieden uns, nach Muang Khua zu fahren. Das ist im Gegensatz zu Phongsali (12h) nur 4h Busfahrt entfernt und Heimat mindestens genauso vieler interessanter Bergvölker. Auch dort waren wir wieder fast nur unter Einheimischen. Wenn man hier oben einen "Weißen" trifft, quatscht man ihn fast immer an oder wird angesprochen, da es hier einfach so wenige gibt und man dann sicher Englisch reden und Infos bekommen kann. Am nächsten Nudelstand saß dann auch direkt Pia. Sie war schon seit 12 Tagen in Muang Khua, war Trekken gewesen und kommt aus Leipzig, weshalb wir gleich super ins Gespräch kamen. Bei abendlichen LaoLao und BeerLao in gemütlicher Ossirunde planten wir so unsere nächsen Tage. Muang Khoa reizte uns nicht sehr. Es ist ein winziges Städtchen am Fluss, eigentlich ganz anschaulich, aber insgesamt doch wenig einladend. Die Locals werfen abends, wenn es dunkel wird, ihren Müll eimerweise in den Fluss, jeder spuckt überall hin, alles ist ziemlich arm, was auch heißt, das man hier immer dasselbe isst. Essen heißt satt werden, mit Genießen hat das ganze wenig zu tun. Auch kennt man hier so etwas wie Waschmaschinen nicht und die Unterkünfte sind ultra-basic. Man merkt, dass nicht viele Touristen sich hier hoch verirren. Wir entschieden uns allerdings trotzdem für einen 3-Tagestrekk in die Berge, was sich als kräftezehrend aber der Anstrengungen wert herausstellen sollte. 

 

Unser Guide Kamaan war ehemaliger Lehrer und sehr sympathisch. Wir fuhren mit ihm die erse Stunde mit dem Tuk-Tuk durch Taidam-Dörfer. Diese haben keine spezielle Kleidung, weshalb sie schwer von den "normalen" Laoten zu unterscheiden sind, aber dennoch ihre eigenen Traditionen und Lebensweisen. Zum Beispiel destillieren sie den traditionellen LaoLao, einen Reiswhisky, der über Himbeerblätter laufen gelassen wird und dadurch eine giftgrüne Farbe bekommt. Nachdem wir dann einen kleinen Fluss mit dem Floß überquert hatten, kam es erstmal richtig dicke - 2,5h durch Unterholz und auf matschigen "Wegen" brachial bergauf. Wir pumpten wie die Maikäfer und waren froh, als wir in einem kleinen Kahmu-Dorf erstmal zum Mittag stoppten. Hier war es sehr ruhig, weil die meisten Leute auf den Feldern und im Wald arbeiten waren. Nur Kinder und Kranke waren im Dorf und für die waren wir mindestens genauso interessant, wie sie für uns. Beim Essen haben sie sich in das Haus reingezwängt und uns unverfroren angestarrt, als seien wir Aliens. Als dann plötzlich ein lautes, traktorähnliches Gefährt vorfuhr, befanden sie sich in einem ganz schönen Dilemma, denn sie wussten jetzt nicht mehr, ob sie lieber raus gehen und gucken oder die Falang weiter beim Essen beobachten sollten. So viel Aufregung gab es im Dorf schon lange nicht mehr. Nach dem Mittag sollten wir auf dem Feld Unkraut jäten helfen, waren dann aber froh, dass es nicht dazu kam, weil unser Guide nicht der Fitteste war an diesem Tag. Deshalb hatte er auch den Traktor organisiert, denn wir hätten die nächsten 10km eigentlich laufen müssen. Wir sagten also den auf dem Feld Arbeitenden kurz Hallo und fuhren dann 1h mit etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit durch eine herrliche Landschaft und ein weiteres Khamu-Dorf. Hier kamen uns die Kinder schon mehr als einen Kilometer barfuß entgegen gerannt, weil sie den Traktor hörten und fuhren nochmal mindestens so weit mit - eine Traktorfahrt ist genauso selten wie Falang... Dabei vergießen sie fast, uns anzustarren. Angekommen in unserem Ziel für die Nacht, einem abgelegenen Kahmu-Dorf, dass zuletzt vor 3 Monaten ein Touristenpärchen gesehen hat, war es dann wieder, als fuhre der Papst mit seinem Papamobil durch Rom. Auf Schritt und Tritt wurden wir von scharenweise Kindern verfolgt, ob beim Essen oder Duschen am örtlichen Wasserhahn, wir waren Kino. Die Kahmu sind sehr arm, durch Spendenprojekte haben sie einige Wasserhähne im Dorf, an denen sie sich Duschen und ihr Wasser holen. Sie haben kleine Schulen im Ort, in denen die Kinder etwa 4 Jahre lang Lao lernen, aber die meisten sind Analphabeten und Lehrer bleiben oft nur ein Jahr, weil es einfach zu abgelegen und das Leben hier zu mühsam ist. Die 35 Familien des Dorfes leben in selbstgebauten, einfachen Stelzenhäusern mit einem relativ großen Ess-, Wohn- und Schlafraum und einer kleinen fensterlosen Küche mit Feuerstelle. Ein Badezimmer gibt es ja nicht, weil es eine Gemeinschaftsdusche im Dorf gibt und genauso verhält es sich mit dem Klo. Es gibt einen festgelegten Bereich, in dem man (von Menschen) ungesehen verschwinden kann. Allerdings sollte man dorthin schnell und mit Stock bewaffnet gehen, denn die Schweine wissen genau warum du dorthin gehst und halten es sehr sauber - also danach schnell weg, damit man das Schmatzen nicht hört. Die Männer gehen täglich jagen und die Frauen bestellen das Feld oder sammeln im Wald Essbares. Durch diese zurückgezogene und traditionelle Lebensweise ergeben sich allerhand Probleme. Zum einen bebauen sie die hiesigen Berghänge mit der sogenannten Slash and Burn Technik. Dazu holzen sie ganze Hänge ab, benutzen das Holz als Feuerholz und zum Häuserbau und brennen den Rest nieder, um Reis, Mais, Erdnüsse, Tabak etc. anzubauen. Dabei ziehen sie jedes Jahr auf einen neuen, durch die Asche fruchtbaren Hang um und lassen den alten brach zurück. Alle 8 Jahre kommen sie zum selben Feld zurück. Die Regierung hat versucht, ihnen die Nutzung dieser Technik auszureden, bietet ihnen allerdings keine alternative Lebensweise an, weil sie hier im Norden selber zu arm ist. Also wird weiter gemacht wie gehabt und entscheidend zur Regenwaldabholzung beigetragen. Man sieht hier kaum ein Fleckchen Wald, nur Gebüsch und schnell wachsenden Bambusforst. Ein weiteres Problem ist das Jagen. Traditionell gehen die Männer mit alten, klabbrigen Gewehren und verschiedenen Fallentechniken jagen und töten dabei unzählige Tiere, die sie dann am Abend essen, Eichhörnchen, Vögel, Marmots, wilde Hühner und Schweine und was sie sonst noch vor die Flinte bekommen. Man hat versucht, ihnen zu erklären, dass sie domestizierte Hühner, Schweine, Enten, Kühe und Büffel essen sollen. Aber leider wird bei ihnen nur zu bestimmten Festivals und Feiertagen mal ein Schwein geschlachetet und es wird weiter gemacht wie gehabt. In den Dörfern wimmelt es von Tieren, besonders Hühner und Schweine, aber es führt kein Weg hinein. Traditon ist Tradition, da ändern selbst die vielen tödlichen Jagdunfälle nichts! Ein drittes großes Problem ist das illegale Anbauen und Rauchen von Opium. In den Kahmu-Dörfern hat man dies durch Aufklärungsarbeit ziemlich gut in den Griff bekommen. Aber zum Beispiel die Akha, die wir später besuchen, rauchen noch zu 90%. Leztlich sind auch Kinderüberschuss, fehlende ärztliche Versorgung und Analphabetismus Schwierigkeiten, mit denen hier gekämpft wird.

In dem Dorf, in dem wir die erste Nacht verbringen, schlafen wir beim Village-Chief, einem der wenigen, die Lesen und schreiben können. Wir unterhielten uns noch kurz mit ihm, guckten den Frauen beim Betelnusskauen und den Männern beim Rauchen (mit normalem, bedruckten Papier, Papers sind zu teuer) zu und schliefen schnell ein, weil wir einfach zu erschöpft waren. 

Am zweiten Tag sind wir 7, 5h durch teils extrem steilen und matschigen Dschungel mit Blutegeln und Flussüberquerungen gelaufen. Wir sind dabei ziemlich an die Grenzen des Machbaren gelangt, zumal es nie sehr viel und/oder nahrhaftes Essen gab, meist Reis mit Bambussuppe oder Kürbisblättern und Chilisoße. Zum Mittag hielten wir in einem kleinen Dorf, in dem sich die Kinder nicht einmal trauten, die Kekse von uns zu nehmen, die der Guide dabei hatte. Erst als wir sie etwas von uns weg stellten und gingen, kamen die Kinder angeschlichen und machten sich vorsichtig aber hastig über die Süßigkeiten her. Die Verpackung ließen sie, wie die Schalen der Früchte, die sie hier finden und essen, einfach fallen. Müll existiert hier so gut wie gar nicht, denn fast alles, was sie benutzen, ist aus der Natur und damit biologisch abbaubar. Am Abend schliefen wir wieder im Haus des Headmans und waren trotz des anstrengenden Tages fitter, sodass wir noch das Haus des Schamanen besuchen konnten und abends lange saßen, den Einheimischen viele Fragen stellten und mindestens genauso viele beantworteten. Nachdem sie beispielsweise herausgefunden hatten, dass wir verheiratet sind, wurde Toni gefragt, wieviel er für Steffi bezahlen musste. Sie waren ganz erstaunt, als wir ihnen erzählten, dass er gar nichts bezahlt hatte und wir von unseren Heimatdörfern 50 und 150 km entfernt wohnen. Das konnten sie gar nicht fassen und erzählten uns, dass im Dorf jede Frau 7`000`000 Kip (ca. $1000) kostet. Die Männer ziehen, wenn sie alt genug sind, durch die umliegenden Dörfer und suchen sich eine Frau (schlau, denn so vermeiden sie Inzucht) und die Frau begleitet den Mann, wenn sie ihn heiraten möchte, in sein Dorf und lebt dann dort. Scheidungen sind möglich, aber quasi nicht existent. Männer und Frauen haben dann ganz klar verteilte Aufgaben und Gewohnheiten. So gehen Männer jagen, Fällen große Bäume, bauen Häuser und rauchen. Frauen machen Feuerholz, kümmern sich um kleine Kinder, die Wäsche und Betten, sammeln Bambussprösslinge und anderes Essbares im Wald und kauen oft Betel. Kochen ist Gemeinschaftsarbeit! Die kleinen Kinder werden oft von ihren Geschwistern oder Nachbarn herumgetragen und lernen so schon früh das Dorfleben kennen. Mit 10 Jahren fangen die Kinder an, auf dem Feld zu helfen. Hier haben wir auch oft vor allem Schwangere gesehen, die Steine essen, ein sehr weiches, sandsteinartiges, rotes Gestein, was schon Kinder hier genussvoll verzehren. Es ist anfänglich etwas seltsam, aber schmeckt nicht schlecht und liefert wichtige Mineralien, außerdem ist es gut für die Zähne...

Am 3. Tag besuchten wir ein Dorf der Akha, was nochmal eine ganz andere Welt ist. Hier tragen die Frauen noch ihren traditionellen Kopfschmuck und teils komplette Kleidung. Die Akha sind sehr spirituell, haben einen animistischen Glauben und mehrere Schamanen pro Dorf. Sie sind sehr scheu und glauben teils noch, dass man ihnen beim Fotografieren die Seele raubt, weshalb man äußerst sensibel sein muss. Wenn sie kleine Kinder haben, lassen die Frauen permanent eine Brust heraushängen, weil bedeckte Brüste Unheil für das Baby bringen und Zwillinge sind ganz übel. Die Mütter verweigern sie zu füttern, was logischerweise den Tod zur Folge hat. Gebären die Mütter im Krankenhaus, was ab und zu vorkommt, können die Zwillinge adoptiert werden. Da die Frauen hier allerdings fast alle zu Hause gebären, kommt das ziemlich selten vor. Akha-Männern ist es erlaubt (obgleich es das laotische Gesetz verbietet) 2 Frauen zu haben, wenn 1. die erste Frau keine Kinder bekommt, 2. die erste Frau nur ein Kind bekommt oder 3. sie nur Töchter gebärt. Akha sind, wie die Kahmu, sehr arm und bei unserem Besuch lag ein 13-Jähriger im Haus des Headmans (meine Gedanken waren bei Emilio!), der seit 9 Tagen fieberte. Es gab keinen ersichtlichen Grund für das Fieber, was es ziemlich gefährlich machte, also haben wir ihn kurzerhand eingepackt und in das nächste (gerade einmal 30 km entfernte) "Krankenhaus" gebracht. Natürlich hoffte das Dorf darauf, das wir das tun. Es war nicht das erste Mal, dass dank zufälligem Touristenbesuch jemand überlebt. Seine Mutter, die einen Kopf kleiner war als wir, band sich den Jungen kurzerhand mit einem Tuch auf den Rücken und schleppte ihn 30 Minuten den Hang hinunter zum Fluss - barfuß!! Am Ende bezahlten wir $25, was nichts ist, das Dorf sich aber nicht leisten kann. Der Junge war zum ersten Mal außerhalb des Dorfes und in einer völlig fremden Welt mit Autos, Straßen, anderen Sprachen etc - man kann sich seine Aufregung vorstellen...Der Arzt war stinksauer, denn der Junge hatte am Ende "nur" eine verschleppte Erkältung. Gesund zu sein ist hier noch überlebenswichtig. Am Abend nahm Kamaan den jungen und seinen Vater in sein Haus auf (er hatte selber einen Sohn in dem Alter), wir deckten sie mit Obst und Wasser ein und aßen bei unserem Guide ein letztes Mal gemeinsam. Am nächsten Tag, als wir fuhren, drückte uns Kamaan zum Abschied, was äußerst komisch war, denn das hatte in Asien noch niemand gemacht und gerade hier im reservierten Norden hätten wir dies nicht erwartet. Doch es war eine tolle Geste und wir fuhren etwas entspannter und Muang Khua ein wenig mehr mögend Richtung Phongsali, um auch den äußersten Norden noch zu erkunden.